In einer unspektakulären Wohnstraße liegt
das Haus von Peter J. Orth. Hier erwartet der Besucher allenfalls
gediegene Langeweile. Umso mehr tanzt Haus Nummer 45 aus der Reihe.
VON DIETER HÖSS
Blau wie das Meer, blau wie der mediterrane
Himmel leuchten einem nämlich Zaun und Fassade entgegen, und
die Farbe Blau bestimmt auch die schön geschnittenen Räume
im Erdgeschoss des Dreißiger-Jahre-Baus. So viel Bläue
auf so engem Raum kommt nicht von ungefähr. Sie symbolisiert
jene Weite des Horizonts, jenen romantischen Traum von Freiheit,
dem viele heimlich anhängen und dem nur wenige zu folgen im
Stande sind.
Schon den ganz kleinen Peter, weiß
die Familiensaga, lockt die große Welt, wenn er mit seinen
drei Jahren und seinem Dreirädchen auch nur die paar Kilometer
bis zur Oma kam, wo man ihn erst einmal wieder einfing. Als Vierzehnjähriger
trampte er dann aber schon weitaus erfolgreicher überall in
Europa herum. Und mit sechsunddreißig kappte er endgültig
alle Bonner Taue und segelte ganze achtzehn Jahre über die
Meere.
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Er entdeckte die Langsamkeit, die Einsamkeit,
die Stille. Und fühlte sich, so sagt er heute, wie ein Zeitmillionär.
Er hielt die Schönheiten der Natur und ihre Veränderung
durch die Kultur in unzähligen Fotografien fest. Er verfasste
Artikel und Bücher darüber.
Nach seiner Rückkehr hat der geborene
Künstler und Kunstfreund deshalb aus dem Haus seiner Eltern
und seinem Geburtshaus auch nicht einfach eine Galerie gemacht.
Er hat etwas ganz Einzigartiges geschaffen, eine Art Gesamtkunstwerk,
das nach seinen Entwürfen und im Zusammenwirken mit Künstlern
aus vielen Nationen entstanden ist und in das Reiseerlebnisse und
Lebenserfahrungen mit den unterschiedlichsten Menschen eingeflossen
sind.
Ein dreiteiliges Relief im Eingang verdeutlicht
diese Grundremineszenz: Hände von Menschen, denen man begegnet,
Gesichter von Menschen, die man in Erinnerung behält, Fußspuren
von Menschen, deren Wege man kreuzt und wieder verlässt. Gewinn.
Verlust.
Was bleibt, das können Fotos zeigen,
die Ausbeute seiner Fahrten. Das können die Werke anderer Künstler
belegen, die dem Haus Orth freundschaftlich verbunden sind. Und
das verdeutlicht am allerbesten ein Gang durch das Haus selbst.
Auf insgesamt 450 Quadratmetern, die gleichzeitig
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Lebensraum, Ausstellungsgelände und Veranstaltungsort sind, begegnet
man im Wechsel der Räume wie der Ausstellungen immer neuen Gemälden,
und Grafiken, Skulpturen und Keramiken, kunstvoll verzierten Teichbecken
und fantasievoll gestalteten Tischdekorationen. Im Innenhof, dem
„Garten des Poseidon“, plätschern drei Brunnen. Im luftigen Zeltdach
tummeln sich fliegende Fische. Hinter einer „Wellenmauer“ erstreckt
sich der „Garten der Düfte“. Und zuletzt entdeckt man die Insel.
Über Lavendel, unter wild rankendem
Wein recken sich wunderliche Köpfe, neben reifen Kiwis halten
skurrile Figuren Wache, auf weißen Wänden wiederholen
sich maritime Motive: Boot und Segel, Seeigel und Fische. Poseidon
lässt grüßen.
Manchmal sieht es aus, als habe da ein großer
Junge nie aufgehört, Sandburgen zu bauen und mit Muscheln zu
verzieren. Doch wenn man mit dem Erfinder dieser Fantasiewelt samt
Fantasienamen in dem natürlich ebenfalls selbst gestalteten
Marmorrund unter dem Blätterdach des alten Apfelbaumes sitzt
und über das Verhältnis von Natur und Kultur, Mensch und
Kunst spricht, dann entpuppt sich Lebenskünstler Orth als Philosoph,
wie er so in keinem Buche steht. Dann wird deutlich, was bei ihm,
neben der Kunst, ganz obenan rangiert: Kommunikation. Gegenseitiger
Austausch,
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Begegnung von Menschen. Wobei er nicht nur seine Kundschaft, sondern
auch seine direkten Hausnachbarn meint. Mit denen, sagt er, habe
er sich gleich zu Beginn über seine Pläne ins Einvernehmen
gesetzt, und verweist auf den Wein, der vom Nachbargarten friedlich
zu ihm herüber rankt.
Ihm zur Seite sitzt dabei Bärbel Weides,
die selbst als Künstlerin erfolgreich ist. Natürlich sind
ihre Glasbilder ebenfalls in dem Haus zu sehen, dessen Schöpfungsgeschichte
sie voll Fantasie beschrieben hat.
Die alphabetische Liste der Künstler
des Hauses von Otmar Alt bis Ernst Yelin ist im Übrigen so
lang, wie die Räume voll sind. Selbst dort, wo bei anderen
Häusern das Auto untergebracht ist, stehen ihre Skulpturen,
hängen ihre Bilder. Einige, wie Josef
Beuys, haben sogar einen kleinen Raum für sich.
Willkommen im Orth-Haus
so der Faltblatt-Titel sind aber nicht nur Galerie-Besucher.
Schnell ergäbe sich eine ungleich längere Liste von renommierten
Firmen, Verbänden und Organisationen, aber auch von Privatpersonen,
die seit der Eröffnung im Jahr 1997 die neue Adresse genutzt
haben; für Events, Büfetts, Konzerte, Lesungen, Tagungen,
Empfänge, Workshops, Vernissagen, Hochzeiten, Geburtstage,
Gartenfeste, Galadiners...
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Bis zu 200 Personen lassen sich je nach Anlass bewirten. Für
das leibliche Wohl sorgt dabei auf verlässliche Weise die Verwandschaft:
Schwiegersohn Paul Verweyen, der vorher als Küchenmeister in
der Landesvertretung von Baden-Württemberg den Löffel
schwang, hat sich inzwischen selbstständig gemacht; er liefert
die Büfetts. Die Gourmet-Galas kommen aus der Küche des
Zwei-Sterne-Kochs Hans Stefan Steinheuer in Bad Neuenahr; der wiederum
ist ein Vetter des Hausherrn.
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All dies verrät ein Werbe-Video, auf dem Allround-Talent Orth
seine Oase für Kunst und Kulinaria vorstellt. Zusammen mit
André Pankratz, einem jungen Künstler, hat er überdies
eine Homepage gestaltet, die mit dem Wort page nur untertreibend
beschrieben ist; die vielen liebevoll gestalteten Seiten sind nichts
für Leute, die nur mal rasch ins Internet gehen, sie ver-langen
Geduld. Das aber entspricht wieder ganz dem Geist des Hauses und
der Philosophie seines Besitzers: Es gibt nicht alles im Leben
in der ersten Sekunde! Etwas Muße sollten Besucher also
mitbringen.
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